Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen, die wir Ihnen heute hier vorstellen, eint ihr Bezug zur
Stille
Zunächst zur Kalligraphie von Jwala Gamper:
Sie kennen sicherlich folgende Szene aus in Japan oder China spielenden Filmen:
Ein kleines Tischchen. Darauf Papier, Pinsel und ein Gefäß mit Tusche. Davor: der Meister -
bewegungslos. Plötzlich löst er sich aus seiner Versenkung, ergreift den Pinsel, tunkt ihn in
das Tuschegefäß und schreibt - in einem Schwung - eine Folge von Zeichen auf das Papier.
Das ist Kalligraphie im Sinne des Zen-Buddhismus:
Anders als bei den Kalligraphien westlicher Prägung - bekannt vor allem aus den mittelalterlichen
Klöstern, bei denen die Weitergabe und prächtige Ausgestaltung des Textes im Vordergrund steht
- anders also als bei dieser westlichen Tradition und anders auch als bei islamischer Kalligraphie, geht
es bei der fernöstlichen Kalligraphie um ein inneres Eins-Werden jenseits ornamentaler
Überhöhungen.
Solche ostasiatischen Kalligraphien wollen das Wesen, die Essenz des Geschriebenen sichtbar und
erlebbar machen. Dabei tritt manchmal sogar die Lesbarkeit zugungsten der Ausdrucksstärke
zurück - eine Tatsache, die uns bei der Rezeption asiatischer Kalligraphien nicht erreicht, die
aber bei muttersprachlicher Kalligraphie eine wichtige Bedeutung hat: Kalligraphien gelten in erster
Linie als Bild, erst dann als Text.
Vor dieser Tradition begreift die in Kramsach / Österreich lebende Schriftkünstlerin Jwala
Gamper ihre Signs, mit denen sie seit 2004 an die Öffentlichkeit tritt - über ihre
Sketch-Books auch weltweit. Ihr Weg dorthin führte notwendigerweise nicht durch die
Kunsthochschulen. Ihre Befähigung erlangte sie durch etwas, dass ich als angewandtes Studium der
Philosophie zusammenfassen möchte, in dem sie durch zahlreiche Ausbildungen und Lebensformen ging.
Ein notwendiger Weg. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit philosophischen Systemen, gelehrt an
den Universitäten, ist vor allem ein Spiel der Logik, und damit distanziert. Das Hindurchgehen
beinhaltet ein Einlassen, ein Fühlen - eine notwendige Vorraussetzung, um in die Stille
begriffloser Essenz des zu schreibenden einzutauchen, die Jwala Gamper dann durch die Kalligraphie in
den Ausdruck bringt.
Es sind Zeichen aus der Stille in Tusche gebannt, mit denen Jwala Gamper den Geist des Betrachters auf
die - manchmal widersprüchlich erscheinende - Reise freudigen Selbstgewahrseins schickt.
"Stille" ist das Sign, mit dem sie 2004 erstmals an eine weitere Öffentlichkeit getreten
ist.
Und Stille atmen auch die Arbeiten der Hannoveraner Künstlerin Yvonne Goulbier. Ihr Medium ist das
Licht, ein Licht, dass ebenso dimensionslos ist, wie die Stille:
Das Licht begegnet uns im Oeuvre Yvonne Goulbiers in dreierlei Form:
- als Projektion im Außenraum (Poesia, Hannover Anzeiger Hochhaus, 2000; Rosenthalbrücke,
Lichtparcours Braunschweig 2000)
- als Schwarzlicht, mit dem sie Räume in ein dimensionsfernes Dunkel taucht, um den Raum dann
durch ihre aus sich heraus leuchtenden Installationen zu transformieren. Es sind kraftvolle Räume
häufig Sakralräume. Die Wirkung auf den Betrachter zwischen die Dimensionen einzutauchen,
strahlen auch die ausgestellten Pigmentdrucke und Cibachrome aus (Silentium, Oerlinghausen, Cibachrome
1/5 2001; Wie Wirklich ist die Wirklichkeit, Neustädter Kirche, Pigmentdruck Mischtechnik 1/7 2005;
The Game, ehem. Dominikanerkirche Osnabrück, Pigmentdruck 1/7 2007, u.a.)
- durch die Leuchtkraft der verwendeten Farbe, wie in den Bildwerken Roma und After the Rain (jeweils
Acryl und Aluminium auf Leinwand, 2000) und dem Objekt Evokation in Rot (Acryl und Aluminium auf
Blattgold auf Pappmachée, 1988/2006). Das Eintauchen zwischen die Dimensionen der Lichträume
findet sich auch in den Plastiken "Stille in Rot": Die Bronzen, patiniert und
pulverbeschichtet, sind jeweils Unikate. Die irdene Schwere des türkis patinierten Sockels wird in
die Höhe gehoben durch die Leichtigkeit eines strahlend rotpink aufstrebenden, zarten Astgeflechts
- ein Zauber, der daran erinnert, dass all die Knospen unserer Stille nur darauf warten, im Licht der
Wirklichkeit strahlend auszuschlagen.
In all diesen Lichtwerken arbeitet Yvonne Goulbier mit der Leichtigkeit subtiler Brechungen unserer
gewohnten Erfahrung und öffnet dem Betrachter so StilleWelten jenseits des Verstandes, die frei
sind von jeder vorgegebenen Interpretation.
Beide Künstlerinnen greifen in ihrem Schaffensprozess auf die Stille zurück. Sie nähern
sich ihren Bild- und Lichtwerken aus einer inneren Stille heraus. Folgerichtig also, dass sie
beschlossen, zukünftig verstärkt zusammen zu arbeiten. "In der Stille immer lauter
werden" ist ihr erstes gemeinsames Ausstellungsprojekt. Ein gemeinsames Filmprojekt "Wolle was
komme" mit Karl Gamper und Klaus Goulbier haben sie in diesem Jahr abgeschlossen. Anfragen aus
Osnabrück und Frankfurt liegen ihnen vor.