"Einzigartig" und
"außergewöhnlich" sind von der Werbesprache gründlich abgenudelte Worte, die in
einer Kunstkritik nur selten etwas verloren haben. Bei Wolfgang Tiemanns Auftritt in der seit einem Jahr
bestehenden Galerie Holbein4 aber könnten sie angebracht sein. Denn wann hat man das schon: Ein
hiesiger Künstler stellt in angesehenen Museen in märchenhaften Städten wie Samarkand,
Damaskus, Schanghai und Aleppo aus, bevor ein kleiner Teil seiner Werke endlich bei uns
ankommt. Freunde des Künstlers und auch die beiden Junggaleristinnen Bettina Engelke und Annette
Roggatz holen ganz weit aus, um schließlich bei den zum Teil riesigen Aquatintaradierungen Tiemanns
anzukommen. Von der alten Seidenstraße ist die Rede und dem Wunder der Papierherstellung. Es wurde
als Geheimnis gehütet, dann aber von den Chinesen doch ausgeplaudert. "Was wäre unsere
Kultur ohne Papier?", fragen die Galeristinnen. Auch der ehemalige niedersächsische
Landtagspräsident Rolf Wernstedt ist ein begeisterter Tiemann-Fan - und war sogar in Aleppo
dabei. Papier ist geduldig. Mit einer Riesenwalze aus Metall hat Tiemann die Grafiken mit legeren
formalen und motivischen Anklängen an die klassische Moderne gewalzt: Stiere sind zu sehen,
archaische Krieger und immer wieder Frauenakte. In ihrer Flüchtigkeit, Hast und mangelnden Erdung
sind die Bilder als unsere Zeitgenossen erkenntlich. Die Metallwalze wurde Tiemann gestohlen.
Wahrscheinlich wurde das Metall in einer Gießerei eingeschmolzen. So verbindet sich mit Tiemanns
"Paper Roads", so nennt er seine weit gereiste Grafikserie, sogar ein kleiner
Kunstkrimi. Der Künstler verzichtet auf Nachforschungen. Er hat schon wieder andere
Herkulesaufgaben vor sich. Vom 26. Oktober bis 31. Januar werden seine "Paper Roads" in acht
Sälen des Berliner Pergamon Museums ausgestellt sein. Auch die 34 in Hannover gezeigten Werke. Wer
sie hier noch sehen möchte, muss sich also beeilen.
Galerie Holbein4, bis 7. Oktober, Holbeinstraße 4, dienstags, donnerstags und freitags 16 bis
18.30 Uhr.
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